Der freischaffende Architekt auf Gratwanderung
Das EuGH-Urteil zur Abschaffung der Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze unserer HOAI konnte durch die Aufrechterhaltung der Angemessenheit der Honorare auf der Grundlage der HOAI etwas abgemildert werden. Es liegt nun in unserer Hand, verantwortungsvoll und solidarisch untereinander mit Angeboten umzugehen, und gleichzeitig für weitere Verbesserungen an der HOAI zu arbeiten.
Es gilt nun die nächste Lawine abzuwenden. Die Auftragswerte bei Planungsleistungen sollen nicht mehr nur dann zusammengerechnet werden, wenn es sich um gleichartige Leistungen handelt. Vielmehr will man die auf ein Projekt bezogenen Planungsleistungen generell addieren. In nahezu jedem Projekt würde der aktuell gültige Schwellenwert von 214.000 € zu einer EU-weiten Ausschreibung führen! Nebenbei ist das auch eine unnütze Steigerung des Verwaltungsaufwandes in den Vergabestellen. Setzen wir uns besser für eine generelle Anhebung der Schwellenwerte ein! Gerade jetzt bietet sich eine gute Gelegenheit dazu, Schützenhilfe in der Politik zu suchen. Schließlich finden in diesem Jahr Bundestagswahlen statt.
Die kontinuierlich wachsenden Tendenzen der öffentlichen Hand, Europas und nicht zuletzt der Europäischen Wirtschaft sich die überwiegend in sogenannten KMUs, also die in kleinen und mittleren Unternehmen wirtschaftende, freie Architektenschaft vom Halse zu schaffen, kann und muss für uns ein Antrieb sein, den Wert unseres unabhängigen Handeln für Qualität und Baukultur in unserer Gesellschaft noch stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.
Es bleibt an uns, diese Herausforderungen anzunehmen und Verantwortung für die Situation unseres Berufsstands in der Gesellschaft zu übernehmen. Eine wohlwollende, unterstützende Hand von Seiten der Öffentlichkeit dürfen wir nur dann erwarten, wenn wir gute Argumente liefern, für unseren Berufsstand einstehen und Stärke zeigen.
Hinzu kommt die Komplexität der Vorschriften, Bauregelungen sowie die Vielfalt der Baustoffe und Bauabläufe – heutzutage liegen diese bereits einem kleinen Bauvorhaben zu Grunde und das Meistern derselben muss selbstverständlich auch einem freien Architekturbüro als Einzelunternehmen zugetraut werden.
Wo doch nicht zuletzt die Pandemie gezeigt hat, was Resilienz bedeutet: Das Rückgrat der bayerischen Wirtschaft sind die kleinen und mittleren Unternehmen, die flexibel auf Ereignisse reagieren können und sich hochgradig agil stets aufs Neue und aufgabenbezogen zusammentun können. Der Umgang mit grundlegenden Themen wie etwa dem Klimaschutz stellen genau das unter Beweis.
Selbst wenn das aktuelle Vertragsverletzungsverfahren abgewehrt werden könnte – die Tendenz, Generalplaner, Generalunternehmer, Totalübernehmer zu beauftragen, muss aufrütteln. Der Berufsstand ist aufgefordert, sich zur Wehr zu setzen. Das aber wird nicht reichen, würde es doch unserem Selbstverständnis nicht gerecht: Es geht darum, auf Lösungen hinzuarbeiten, sodass wir – ohne unseren gesellschaftlichen Auftrag zu verraten – Angebote liefern können, die uns auf dem Markt bestehen lassen.
Der Digitalisierungsschub, ausgelöst durch die Pandemie, ist die große Chance, sich noch stärker zu vernetzen, in den Regionen und darüber hinaus, unter Architekten und Fachplanern und selbstverständlich kleinere Architekturbüros untereinander. Der größte Anteil der Architekturbüros in Bayern hat 1-2 Mitarbeiter. Genau diese Strukturen sind es, die ernsthaft bedroht sind. Diese kleinen Büros sind aber auch besonders flexibel. Sollte es gelingen, temporäre Zusammenschlüsse noch weiter zu etablieren, kann sich daraus eine schlagkräftige Marktgröße entwickeln, die selbst einer Addition der Auftragswerte bei EU-Vergaben trotzen würde.
Berufsverbände arbeiten intensiv an dieser Art der Vernetzung, insbesondere wenn Architekten und Ingenieure innerhalb eines Verbandes an einem Strang ziehen.
Und das genau ist unsere Stärke als freie und unabhängige Architekt*innen, Innenarchitekt*innen, Landschaftsarchitekt*innen und Stadtplaner *Innen. Nicht darauf zu warten, dass man uns lässt, sondern proaktiv zu agieren. Dafür braucht es ein hohes Maß an Solidarität unter uns – und eine große Offenheit zur Zusammenarbeit mit Fachplanern und Ausführenden.
Ein berufspolitischer Verband mit Architekten und Ingenieuren bietet dafür eine schier unendliche Plattform.
Ursula Schmid
BAB Präsidentin
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